Vorbemerkung
In einem früheren Blogbeitrag hatte ich im Sinne eines Brainstormings eine Sammlung von Möglichkeiten vorgestellt, was Unternehmen (theoretisch) tun könnten, um die Qualität von Vorschlägen im Allgemeinen und errechnete Einsparungen im Besonderen zu fördern. Dass die Einsparung dabei nur eines von mehreren Kriterien ist, um die Qualität von Vorschlägen zu bewerten, und daher „besser“ nicht von vornherein mit „lohnender“ gleichgesetzt werden darf, wurde in einem weiteren Blogbeitrag diskutiert.
Doch welche Ansatzpunkte nutzen die Unternehmen nun wirklich? Und welche haben die höchsten Erfolgsaussichten? Auf diese Fragen liefert der „Kennzahlenvergleich Ideenmanagement 2023“ Antworten. Dabei zeigt sich, dass bei den meisten Ansatzpunkten, die einen starken Zusammenhang mit der Einsparungsquote aufweisen, auch mit anderen wichtigen Kennzahlen positive Zusammenhänge bestehen, etwa mit der Vorschlagsquote und dem Umsetzungsanteil.
Ziele (oder: die Tücken von Statistik)
Zu ermitteln, welcher Ansatzpunkt die stärksten Zusammenhänge mit Erfolgskriterien eines Ideenmanagements aufweist, scheint ganz einfach: Sie müssen sich nur anschauen, wie sich die Kennzahlen zwischen den Unternehmen, die diesen Ansatzpunkt nutzen, und denen, die das nicht tun, unterscheiden. Die folgende Tabelle 1 zeigt das Ergebnis für den Ansatzpunkt „Zielvorgaben für die Höhe der Einsparung und/oder des Umsetzungsanteils“.
Tabelle 1: Vergleich der Medianwerte zentraler Kennzahlen zwischen Unternehmen mit und ohne Zielvorgaben
Das Ergebnis ist doch eindeutig – oder?
Doch Vorsicht: Sie wissen noch gar nichts über die Größe und die Zusammensetzung der beiden Teilgruppen, die hier verglichen werden! Tatsächlich umfasst die Gruppe „mit“ Zielvorgaben nur 19 Teilnehmer (von insgesamt 238, die zu diesem Fragenkomplex geantwortet haben). Mit einer einzigen Ausnahme sind diese Teilnehmer Produktionsunternehmen. Um vorschnelle Schlussfolgerungen zu vermeiden, sollten Sie daher prüfen, ob die in Tabelle 1 sichtbaren Unterschiede nicht auf die in Tabelle 2 gezeigten Unterschiede zwischen Produktions- und Nicht-Produktionsunternehmen zurückgehen.
Tabelle 2: Vergleich der Medianwerte zentraler Kennzahlen zwischen Produktions- und Nicht-Produktionsunternehmen
Es könnte ja sein, dass die Werte für Unternehmen „ohne“ Zielvorgaben deshalb so gering sind, weil sich darunter auch Nicht-Produktionsunternehmen befinden, die generell niedrigere Werte haben. Derartige Effekte können Sie ausschließen, indem Sie den Vergleich „mit“ und „ohne“ Zielvorgaben nur mit den Produktionsunternehmen durchführen. Das (nun deutlich verlässlichere) Ergebnis sehen Sie in Tabelle 3.
Tabelle 3: Vergleich der Medianwerte zentraler Kennzahlen zwischen Produktionsunternehmen mit und ohne Zielvorgaben
Die Unterschiede zwischen „mit“ und „ohne“ Zielvorgaben sind hier zwar nicht mehr ganz so groß wie in Tabelle 1, aber immerhin noch deutlich genug, um einen starken Zusammenhang zwischen Zielvorgaben und den als Erfolgskriterien relevanten Kennzahlen festzustellen – stärker übrigens als bei allen anderen Ansatzpunkten, die im Kennzahlenvergleich berücksichtigt bzw. genannt wurden.
- Die Menge der Produktionsunternehmen „mit“ Zielvorgaben ist mit 18 Teilnehmern zwar so gering, dass statistische Auswertungen äußerst fragwürdig und auf dieser Basis ermittelte Median- und Durchschnittswerte sehr ungenau werden (siehe untenstehende Nachbemerkung). Die Unterschiede sind jedoch so groß, dass sich eine Auseinandersetzung mit den Ergebnissen trotz der hohen Fehlermargen lohnt.
Nochmals Vorsicht: Bedeuten diese Ergebnisse nun, dass alle Unternehmen, wenn sie Ziele vorgeben, mehr, bessere und lohnendere Ideen erhalten? Nein! So zeigt ein Vergleich der Boxplotdiagramme in Abbildung 1, dass es durchaus Unternehmen gibt, die auch ohne Zielvorgaben hohe Werte erzielen – ebenso, wie es Unternehmen gibt, die mit Zielvorgaben nur geringe Werte verzeichnen. Selbst wenn die Medianwerte der „mit“-Gruppe deutlich höher sind als die der „ohne“-Gruppe, sind Zielvorgaben also weder ein Garant für Erfolg noch eine notwendige Voraussetzung.
Abbildung 1: Vergleich der Boxplotdiagramme zentraler Kennzahlen zwischen Produktionsunternehmen mit und ohne Zielvorgaben
Das führt zur Frage, wie diese Ergebnisse zu verstehen sind. Ein statistischer Zusammenhang sagt schließlich noch nichts über eine mögliche Ursache-Wirkungs-Beziehung aus.
- Denkbar wäre, dass Zielvorgaben das Denken und Handeln sowohl von Mitarbeitern (als potentiellen Einreichern) als auch von Fach- und Führungskräften (als potentiellen Unterstützern, Gutachtern, Entscheidern) in einer für die Entstehung vieler guter und lohnender Ideen förderlichen Weise beeinflussen.
- Ebenso wäre denkbar, dass eine (aus welchen Gründen auch immer) hohe Anzahl von guten und lohnenden Ideen das Interesse der Unternehmensleitung weckt und sie zur Formulierung von Zielen veranlasst.
- Zudem könnte allein der Akt, Ziele vorzugeben, Ausdruck einer gewissen Bedeutungszuweisung sein. Für etwas, das einem egal ist, macht man sich kaum die Mühe, Ziele zu definieren. Insofern könnten sowohl die guten Werte als auch das Vorhandensein von Zielvorgaben (unabhängig voneinander) Folgen der hohen Bedeutung sein, die eine Unternehmensleitung dem Ideenmanagement beimisst.
- Und selbstverständlich sind auch Kombinationen der genannten Möglichkeiten (ggf. mit unterschiedlichem „Mix“ je nach Unternehmen) sowie weitere Einflussfaktoren denkbar.
Angesichts der Stärke des Zusammenhangs mit guten Werten ist es bedauerlich, dass Zielvorgaben nur von 8% der Teilnehmer genutzt werden und damit der am wenigsten verbreitete Ansatzpunkt sind. Ist es bösartig, dies mit dem vorletzten Erklärungsansatz in Verbindung zu bringen und zu befürchten, dass die geringe Verbreitung von Zielvorgaben mit der großen Verbreitung von Unternehmensleitungen zusammenhängt, die dem Ideenmanagement zu wenig Beachtung schenken? Wie dem auch sei – hier noch ein paar Hinweise zum Thema „Ziele im Ideenmanagement“:
- Wie das Ideenmanagement von sich aus seine Bedeutung durch Klärungen von Strategie und Zielen stärken kann, lesen Sie in den Blogbeiträgen „Wie Sie Ihr Ideenmanagement in 7 Schritten strategisch ausrichten“ (Teil 1 und Teil 2).
- Ziele als aus der Erfahrung identifiziertes Element einer „guten Praxis“ waren Gegenstand im Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 5/9 – Commitment: Ziele und Reporting“.
- Ein weiterer Blogbeitrag widmete sich den „Vorteilen, Risiken und Nebenwirkungen von Zielen für das Ideenmanagement“.
Qualifizierungsmaßnahmen
In der Stärke des Zusammenhangs mit guten Werten stehen die beiden Ansatzpunkte „Trainings für Vorgesetzte“ und „Systematische Ausbildung, Fortbildung für Mitarbeiter“ fast gleichauf an dritter und vierter Stelle. Damit dürften Maßnahmen, die am „Können“ ansetzen, besonders hohe Chancen bieten, zu mehr, besseren und lohnenderen Ideen beizutragen (mehr zum Unterschied zwischen „Können“ und „Wollen“ finden Sie im vorletzten Blogbeitrag „Prämien im Ideenmanagement – Warum und Wozu?“).
Die Gruppen „mit“ den jeweiligen Qualifizierungsmaßnahmen sind zwar ebenfalls überproportional durch Produktionsunternehmen geprägt, aber bei weitem nicht so stark wie bei Zielvorgaben. Die Ergebnisse unterscheiden sich daher kaum, ob man nun alle Unternehmen oder nur die Produktionsunternehmen betrachtet. Im Interesse einer konsistenten Darstellung zeigen die Abbildungen 2 und 3 jedoch nur die Vergleiche für Produktionsunternehmen.
Abbildung 2: Vergleich der Boxplotdiagramme zentraler Kennzahlen zwischen Produktionsunternehmen mit und ohne Trainings für Vorgesetzte
Abbildung 3: Vergleich der Boxplotdiagramme zentraler Kennzahlen zwischen Produktionsunternehmen mit und ohne systematischer Aus- und Fortbildung für Mitarbeiter
Auch hier Vorsicht: Wie Sie an den Boxplotdiagrammen in den Abbildungen 2 und 3 sehen, lassen sich auch ohne Qualifizierungsmaßnahmen hohe Werte erzielen, ebenso wie es Unternehmen gibt, die mit ihnen geringe Werte verzeichnen. Dennoch darf man meines Erachtens die Ergebnisse als solides Argument für positive Wirkungen von Qualifizierungsmaßnahmen auf die Anzahl, die Qualität und den Nutzen von Vorschlägen werten. Dies entspricht auch der erfahrungsbasierten Einstufung von Schulungen als Elemente einer „guten Praxis“ (siehe Blogbeitrag „Erfolgsfaktor 9/9 – Ressourcen: Know-how“).
Angesichts dessen ist es wiederum bedauerlich, dass Qualifizierungsmaßnahmen nicht zu den am häufigsten genutzten Ansatzpunkten zählen. Sowohl bei Produktions- als auch bei Nicht-Produktionsunternehmen tauchen sie erst ab elfter Stelle auf.
Immerhin werden andere Ansatzpunkte, die ebenfalls zum „Können“ beitragen, deutlich häufiger genutzt. Das betrifft „Informationen und Handreichungen (Arbeitshilfen, Anleitungen, Erklärvideos, usw.)“, die von 43% der Teilnehmer bereitgestellt werden und damit in der Häufigkeit an zweiter Stelle stehen, „Niederschwellige Unterstützungsangebote für Mitarbeiter“, die es bei 35% der Teilnehmer gibt, sowie „Qualifizierende Feedbackgespräche (insbesondere mit Einreichern von abgelehnten Vorschlägen)“, die in 24% der teilnehmenden Unternehmen geführt werden.
- [Nur der Vollständigkeit halber: Die Verteilung von Produktions- und Nicht-Produktionsunternehmen in den Gruppen „mit“ diesen Ansatzpunkten entspricht weitgehend der Zusammensetzung aller Teilnehmer.]
Allerdings sind die Zusammenhänge dieser Ansatzpunkte mit guten Werten deutlich weniger ausgeprägt als bei den zuvor genannten Qualifizierungsmaßnahmen: Es ist sinnvoll, sie einzusetzen – wer jedoch substanzielle Wirkungen erzielen möchte, wird kaum um den Aufwand für Führungskräftetrainings und Mitarbeiterfortbildungen herumkommen.
Weitere Ansatzpunkte
Zu Recht erwarten Sie nun Aussagen zum Ansatzpunkt mit dem zweitstärksten Zusammenhang. Und zur Stärke der Zusammenhänge beim am häufigsten genutzten Ansatzpunkt. Beides (und mehr) folgt im nächsten Blogbeitrag! /Eine vollständige Übersicht aller Ansatzpunkte und ihrer Zusammenhänge mit Kennzahlen finden Teilnehmer am Kennzahlenvergleich 2023 auf den Seites 21-27 ihres individuellen Ergebnisberichts./
Nachbemerkung zu den Tücken von Statistik
Wahrscheinlich haben Sie diesen Blogbeitrag gelesen, weil Sie sich dafür interessieren, wie Sie mehr, bessere und lohnendere Ideen erhalten könnten – und nicht aus Liebe zu Statistik. Es tut mir leid, dass ich Ihnen trotzdem soviel davon zugemutet habe!
- Der Grund dafür besteht darin, dass eine Argumentation mit Ergebnissen problematisch ist, wenn deren fachlichen Grundlagen unklar sind. Aus Statistiken abgeleitete Aussagen können schnell auf Glatteis führen, wenn man nicht genügend Sorgfalt und Vorsicht walten lässt. Das wäre vielleicht nicht weiter schlimm, wenn es „nur“ um Theorie ginge. Aber sobald es um konkrete Handlungen und den Einsatz von (knappen) Ressourcen geht, lohnt sich eine solide (leider oft auch anstrengende und trockene, daher meist ungeliebte und oft gescheute) Auseinandersetzung mit den verfügbaren Zahlen, Daten und Fakten, um valide Entscheidungen zu ermöglichen.
- Der Blick auf Zahlen, Daten und Fakten ist umso wichtiger, als die Selbsteinschätzung der Teilnehmer, welcher der von ihnen genutzten Ansatzpunkte eine positive Wirkung erkennen lässt, in mehreren Fällen von den statistisch festgestellten Zusammenhängen abweicht. So beträgt etwa der Medianwert der Einsparungsquote bei Produktionsunternehmen, die Kampagnen durchführen und eine positive Wirkung erkennen, nur 136 €/MA, während er bei denen, die Kampagnen durchführen und keine positive Wirkung erkennen, 187 €/MA beträgt. Aus meiner Sicht unterstreicht dieses Phänomen die Notwendigkeit, erfahrungsbasierte und subjektive Einschätzungen mit evidenzbasierten Ergebnissen abzugleichen (und ggf. zu korrigieren).
- Erläuterungen zu statistischen Begriffen wie „Medianwert“ und „Boxplotdiagramm“ finden Sie im Blogbeitrag „Kennzahlen und Statistik für Zahlen- und Statistikhasser“.
Nutzen Sie auf Zahlen, Daten, Fakten basierende Argumente, um in Ihrem Unternehmen Zielfindungsprozesse und Qualifizierungsmaßnahmen anzustoßen und damit die Chancen auf mehr, bessere und lohnendere Ideen zu steigern!
Ein nach Stichworten sortiertes Verzeichnis mit Links auf alle bisher erschienenen Beiträge im Blog zum Ideenmanagement finden Sie in diesem Register.
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